Werner Schollenberger

Ober-Ramstadt und seine Technik- und Automobilgeschichte – Einige persönliche Gedanken

Besonders die Automarke Röhr nimmt unter Fachleuten in der deutschen Automobilgeschichte und für die Entwicklung des modernen Automobils eine ganz besondere Stellung ein.

Nun hat Ober-Ramstadt das unglaubliche Glück, dass die Röhr Auto AG als Nachfolger der Falcon Automobilwerke AG und danach die Neue Röhr Werke AG gerade hier an sässig war.

Im Jahr 1926 gegründet, fuhren erste Versuchswagen im Jahr 1927 und die modern ausgelegte Produktion lief im Jahr 1928 an. Das Unternehmen trat dann zum ersten Mal anlässlich der Berliner Automobilausstellung im November 1928 in die Öffentlichkeit. Die niedrige Bauweise des Röhr 8 mit Tiefbettrahmen, Einzelradaufhängung, Unabhängiger Lenkung und Leichtbau hatte auch international kaum Vorreiter und war eine Sensation in der Automobilwelt. Die Bauprinzipien der Röhr-Wagen prägten den Automobilbau bis in unsere Tage.

Wirtschaftlich kam das Unternehmen (mit diversen Nachfolgebetrieben) zwischen 1926 und 1939 nicht so richtig auf die Beine. Hier spielte sicher eine chronische Unterfinanzierung die größte Rolle.

Dazu hatte die vollkommen neuartige Konstruktion des Röhr 8, besonders in den ersten Jahren, mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen, welche aber keineswegs die technische Leistung der Erbauer und die Erfolge der Röhr-Wagen schmälern können. Dazu kam noch so manche wirtschaftliche Fehlentscheidung in der Firmenleitung um Hans Gustav Röhr. Die fehlende Erfahrung im Automobilbau spielte hier wohl auch eine große Rolle. Trotzdem kann niemand absprechen, dass ein Automobilunternehmen aus Ober-Ramstadt(!) plötzlich auf Automobilausstellungen, Sportveranstaltungen und Präsentationen neben den Wagen der Traditionsmarken Mercedes, Alfa Romeo, Bentley, Maybach, Lancia, Bugatti usw. stand – die übrigens nicht selten mit ähnlichen technischen und auch finanziellen Problemen zu kämpfen hatten, wie die neugegründete Röhr Auto AG. Ober-Ramstadt hatte durch Röhr plötzlich auch einen Namen in der Automobilwelt.

Der Traum im internationalen Automobilbau eine Rolle zu spielen, währte bis Mitte der 1930er Jahre und endete im unglückseligen Vergleichsverfahren der Neuen Röhr Werke AG, das sich bis in den Zweiten Weltkrieg hinzog. In den Jahren zuvor waren Fusionen mit Wanderer, Audi, NAG und Anderen namhaften Autoherstellern gescheitert. Gutachten von keinem Geringeren als Ferdinand Porsche, bescheinigten Röhr gute Perspektiven. Aber all das nutzte nichts.

Röhr wurde im Vergleichsverfahren zerlegt und in Einzelfertigung baute der Nachfolgebetrieb Noll & Monnard KG noch bis zum Krieg einige wenige Röhr 8 und auch Röhr Junior zusammen.

Ober-Ramstadt war und ist für Perspektiven im Zusammenhang mit dem Thema Auto scheinbar „kein gutes Pflaster“.

Nach Röhr hatte die MIAG aus Braunschweig das Gelände übernommen und diese Bezeichnung lebt in der heutigen, wohl durch einige Politiker forcierten Namen „MIAG-Park“ weiter – Nur wenigen Anwohnern dürfte in diesem Zusammenhang bewusst sein, dass sie im „Mühlenbau und Industrie Aktien Gesellschaft – Park“ leben. Vielleicht möchte man in Ober-Ramstadt so mit dieser eher seltsamen Bezeichnung an die Bedeutung eines Rüstungsbetriebs erinnern?

Eine Tradition die mehr oder weniger auch durch die amerikanischen Streitkräfte und die Nato mit dem Tire Depot in der Nachkriegszeit fortgeführt wurde. Das Werk war zeitweise der größte Betrieb der US- Sreitkräfte und der Nato für Reifenrunderneuerung und Herstellung anderer vom Militär genutzten Gummielementen. Das später unter der Führung der MIP (Mainz Industrie Panzerwerke) stehende Werk wurde nach Ende des „Kalten Krieges“ 1993 geschlossen.

Die Anlagen wurden danach nicht mehr genutzt und verfielen.

Mit der Gründung der SEG (Stadt Entwicklung Gesellschaft) kehrte in Jahr 2006 neues Leben auf das inzwischen durch unvorstellbaren Vandalismus stark zerstörte Gelände zurück.

Neben mäßig frequentierten Kunstaktionen, können sich die Bürger von Ober-Ramstadt wohl noch lebhaft an das Verkehrschaos am 13. August 2006 erinnern. Historische Fahrzeuge und Busse blockierten teilweise die Zufahrt zum ehemaligen Röhr-Gelände. Der Grund war ein, von zahlrechen Helfen und meiner Person organisiertes, Oldtimertreffen mit zahlreichen Röhr-Wagen und Anwesenheit der Familie Röhr. Die Veranstaltung war vom Gedanken beseelt, dass die Automobilgeschichte der „rote Faden“ für eine zukünftige Nutzung des Geländes sein solle. Entsprechende erste Konzepte lagen vor. Und der Andrang an jenem Augusttag bestätigte diesen Ansatz. Über 3.500 Besucher drängten sich, trotz regnerischem Wetter, innerhalb weniger Stunden auf dem Gelände. Zu sehen gab es um die, inzwischen halb verfallenen Werkshallen, eine Auswahl ganz besonderer historischer Fahrzeuge und in Führungen war Einiges zur Geschichte des Geländes zu erfahren. Vor dem Gelände drängten sich rund 150 Oldtimer und die Schaulustigen waren zum Teil aus dem Ausland angereist. In meiner kurzen Ansprache sagte ich:“…wer vor dieser Kulisse die geschichtliche Bedeutung für die Automobilwelt und den „Roten Faden“ einer zukünftigen Nutzung für das Gelände nicht erkennt, dem kann ich auch nicht mehr helfen!“

Nun wie es sich im Nachhinein zeigte, gab es in Ober-Ramstadt in Ober-Ramstadt, in Politik und an anderen Stellen, etliche Personen welchen nicht mehr zu helfen war. Kirchturmdenken, Politik, Neid und Eigennutz verhinderten jegliche in ersten Konzepten zum Thema“ unterbreitete Vorstellungen. Konzeptvorschläge verschwanden scheinbar bei den Verantwortlichen in den Schubladen. Darin vorgetragene Ideen, wie ein Zentrum für historische Fahrzeuge mit Bindung zum Odenwaldtourismus, Fahrzeugunterstellplätze und entsprechende Events wurden als kompletter Irrsinn abgetan.

Ich wurde persönlich angegriffen und diffamiert. Es sei an dieser Stelle gesagt, dass ich zahlreiche Helfer und Unterstützer aus – mit Fachleuten besetzten – Verbänden hatte. Dass die vor diesem Hintergrund unterbreiteten Gedanken nicht irrsinnig waren, sieht man an den überall in unserer Region entstehenden Klassik-Parks, Klassik-Center oder Classic-Depots mit Unterstellplätzen und dem entsprechenden Umfeld. Auch in Ober-Ramstadt sollen in Kürze solche Klassiker-Unterstellplätze entstehen. An dieser Stelle ist die Frage berechtigt, wo denn all diese Leute 2006 bis 2009 waren.

Obendrein kamen Vorwürfe ich wolle das Geld der Stadt Ober-Ramstadt. Das wollten ich oder auch irgendeiner meiner Unterstützer definitiv nicht. Ganz im Gegenteil sollte mit dem „Roten Faden“ Automobilgeschichte des Konzeptes Investoren angesprochen werden. Die sollten das Geld mit einer Aussicht auf längerfristigen Erfolg in ein Zentrum „Röhr-Fabrik“ für historische Fahrzeuge investieren welches von vier Säulen getragen werden sollte:

1.     Odenwaldtourismus/Gastronomie mit Oldtimer Abstellplätzen. Dies möglichst mit einem Oldtimerhotel
       als Ausgangspunkt fĂĽr Touren in die schöne Landschaft unserer Region.
2.     Ein gewerblicher Teil der mit Werkstätten, Wartung, Gewerbe sowie der Vermietung der Abstellplätze
       welche die in Position 1 genannte Struktur und die Finanzierung der „Röhr-Fabrik“stĂĽtzt.
3.     Geschichte und Kultur - Ausstellung zur Geschichte, Tagungsräume, ein Forum fĂĽr Sonderausstellungen
       zu verschiedenen Themen, Events, Kunst.
4.     Veranstaltungen/Seminare Aktivitäten ĂĽbergreifend zu den vorhergehenden Punkten:
       Oldtimer-Verleih, Seminare, Oldtimertreffen, Sonderausstellungen, Teilemärkte usw.

Dieses Konzept „Röhr-Fabrik“ wurde, sogar zum Teil bis in die Einzelheit (selbst der in Ober-Ramstadt vorgeschlagene „Oldtimer-Weihnachtsmarkt“ fehlt nicht), mit Erfolg umgesetzt – mit der Klassikerstadt in Frankfurt (!). Eingeweihte wissen absolut wie diese – ich möchte es mal so nennen - Ideentransfusion funktionierte. Gleichzeitig beweist die Existenz dieser Einrichtungen, dass es Leute gibt die in ein solch gutes Konzept investierten.

Die Gedanken des Konzeptes „Röhr-Fabrik“ unterschieden sich vom damals schon in Berlin existierenden „Meilenwerk“ und lebte durch Dichte von Oldtimern und deren Besitzer im Rhein-Main-Neckar-Raum, die Nähe zu Frankfurt, der Nähe zum Bahnhof, der Möglichkeit das wertvolle Fahrzeug sicher unterzustellen und der Möglichkeit mit dem wertvollen Oldtimer direkt in die Odenwaldlandschaft zu fahren und nicht erst durch den Großstadtverkehr!

Die „Röhr-Fabrik“ wäre auch in Ober-Ramstadt ein Erfolg geworden – immerhin wird der Name des Konzeptes ja genutzt, durch die „Ersatzteilmanufaktur Roland Merz“. Dieses Unternehmen hat als einziges das, in der Historie des Ortes steckende, Erbe aufgegriffen: Die Manufaktur liefert Teile für historische Fahrzeuge.

Verhinderer einer zukunftsträchtigen Idee, feierten 2012 in der Presse den Abriss der historischen Werkshallen. Inzwischen sind die gleichen Leute plötzlich die Bewahrer der Geschichte. Es ist die berechtigte Frage, wo die Vertreter des Landes-Denkmalamtes in dieser Zeit waren. Wer hat diese Leute beraten? Politisch wurden zumindest „Fachleute“ wie „Karnickel in einer Zaubernummer“ aus dem Hut gehext – viele wussten wenige Monate zuvor noch nichts über Walbinger, Falcon, Röhr, Noll & Monnard, MIAG, Tire Depot und Co.

Während mancher nur im Sinn hatte, mit dem geschichtsträchtigen Gelände Geld zu verdienen, wurde eine historische Möglichkeit verspielt: Ober-Ramstadt hätte an seine eigene Technik- und Industriegeschichte erinnern können und ein Deutschlandweit beachtetes Zentrum für Automobilgeschichte wäre entstanden.

Einmalig zudem, weil es am Ort einer ehemaligen Automobilfabrik existiert hätte.

Selbst der Vorschlag die Straßen auf dem Gelände nach Persönlichkeiten zu benennen, die auf dem Werksgelände und in Ober-Ramstadt wirkten, wurde abgeschmettert. Statt Max Walbinger (Erbauer der Fabrikhallen), Gottlieb Hartlieb (Mitbegründer der Falcon Automobilwerke AG) Willy Hof (Geschäftsführer der HAFRABA und eigentlicher „Vater der Autobahn“), Joseph Dauben (Chefkonstrukteur Röhr) Hans Gustav Röhr (Firmengründer Röhr Auto AG), Arnold Zoller (Pionier Motorentechnik / Turbolader bzw. Kompressor) sollten laut Beschluss der Stadtverordneten, Künstlerinnen und Künstler das Niveau auf dem historischen Fabrikgelände heben. Im Gegensatz zu den genannten Technikern waren wahrscheinlich weder Frida Kahlo, Paul Klee, Friedensreich Hundertwasser, Salvador Dali, Pablo Picasso oder Claude Monet jemals in Ober-Ramstadt oder wussten gar wo dieser Ort liegt. Ein schwarzes Kapitel zum Thema Demokratie: Hatte ich doch in Sitzungen und Gesprächen zum Werksgelände die Vorschläge aus der Bevölkerung zum Thema Straßennamen zusammengefasst und das wurde den Stadtverordneten vorgelegt. Es kamen allerdings die Künstler zum Zuge – auf Vorschlag zweier Damen aus dem Kreis der Stadtverordneten.

Das teuer (mit Steuergeldern) bezahlte Konzept eines Science-Museums in der „Hundertmeterhalle“ möchte ich an dieser Stelle gar überhaupt nicht kommentieren.

Zuvor wurde das Angebot eines Privatmannes, das Konzept Röhr-Fabrik mit einer Million Euro und einer Sammlung von rund 10 hochkarätigen historischen Fahrzeugen (mehrere Millionen wert) zu stützen, von politisch Verantwortlichen im O-Ton als: „Wischi-Waschi“ angesehen. Sinnvolle Bemühungen wurden leider zu oft auf diese Weise abgetan und unterdrückt.

Nur noch die Werksvilla, der Verwaltungsbau und die sogenannt „Hundertmeterhalle“ erinnern heute am „Mühlenbau und Industrie Aktien Gesellschaft- Park“ – ja, eigentlich an was?

Mit gutem Willen, Respekt und fairem Gedankenaustausch wäre etwas Einmaliges in Ober-Ramstadt entstanden. So wurde die „Röhr-Fabrik“ zu einer der schlimmsten Erfahrungen in meinem Leben und führte auch zum, bis heute öffentlich verschwiegenen, Rücktritt als Obmann für Automobilgeschichte im Museum Ober-Ramstadt.

Versagt habe aber besonders ich: In über 30 Jahren konnte ich den Ober-Ramstädtern nicht die Bedeutung des Ortes für die Entwicklung und Geschichte des Automobils vermitteln.

Aber trotz allem – nach vorne sollte der Blick gehen, denn bekanntlich lohnt es sich nicht über vergossene Milch zu jammern. Irgendwas geht immer noch, auch in Ober-Ramstadt. Wenn man gemeinsam und in gegenseitiger Achtung an eine Sache geht.

Werner Schollenberger