Hessische Automobilgeschichte

Erste Darmstädter Karosseriewerke – Georg Autenrieth

Früher ging der Autokauf etwas anders vonstatten als heute. Für Viele ist es kaum noch vorstellbar, dass sich der Kunde in den 1920er oder 1930er Jahren beim Autohändler ein Chassis des gewünschten Fahrzeugherstellers bestellte und sich dafür bei einem der zahlreichen Karosserieherstellern eine Karosserie nach eigener Wahl und eignem Geschmack anfertigen ließ.
Dies war zumindest bei vielen teuren Luxusautos die gängige Praxis.
Wenn Sachkundige sich an diese vergangenen Tage des deutschen Karosseriebaus erinnern, fallen ihnen Hersteller wie Gläser, Buhne, Erdmann & Rossi, Papler oder Deutsch ein.
Im Laufe der über 125-jährigen Automobilgeschichte gab es in Deutschland zahllose bedeutende Karosseriefabriken. Einer der bekanntesten und größten Hersteller waren die Ersten Darmstädter Karosseriewerke – Georg Autenrieth.
Georg Autenrieth war bereits 1912 MitbegrĂĽnder der Karosseriewerke Weinsberg.1921 trennte er sich von seinem Partner Fritz Eisenlohr und grĂĽndete in Darmstadt (FeldbergstraĂźe) seine eigene Firma. Bald wurden Aufbauten fĂĽr Opel, Horch, Stoewer, Selve, NSU, Audi und Benz angefertigt.
Großen Bekanntheitsgrad errang Autenrieth durch die Karosseriefertigung für den im nahen Ober-Ramstadt ansässigen Autohersteller Röhr. Etwa 80% aller ab 1927 von der Röhr Auto AG und später der Neue Röhr Werke AG gebauten Automobile hatten Autenrieth-Karosserien. Die Chassis der Röhr-Wagen wurden im Konvoi auf eigener Achse ins nahe Darmstadt gefahren um dort karossiert zu werden – in den „besten Zeiten“ etwa 6 Autos täglich!
Einen Höhepunkt erreichte die Geschäftsbeziehung mit der Autenrieth-Stromlinien-Limousine auf Basis eines Röhr 8 Typ F. Dieses Einzelstück mit einer auffälligen Sonderkarosserie zeigte die Neue Röhr Werke AG 1932 und 1933 auf den Autoausstellungen in Paris, Berlin und Genf. Der Wagen war der Blickfang, wohl das erste Showcar überhaupt.
Viele Fahrzeuge mit Karosserien von Autenrieth wurden bei den damals sehr beliebten und beachteten Automobil-Schönheitskonkurrenzen mit Preisen prämiert.
Nach dem Ende von Röhr in Ober-Ramstadt ergab sich ab 1936 eine enge Zusammenarbeit mit BMW, die auch nach dem Krieg weiter gepflegt wurde.
So entstanden auf dem soliden Chassis des BMW 501 und 502 verschiedene Coupés und Cabriolets, die sich durch ihre elegante Linienführung auffielen. Autenrieth kleidete hauptsächlich deutsche Automobilfabrikate neu ein. Aber auch Karosserien für offene Citroén DS 21 oder Jaguar XJ 120 wurden in Darmstadt gefertigt. Einige Wagen veränderte Autenrieth so, dass noch nicht einmal die fast obligatorische BMW-Niere erhalten blieb.
Cabriolets und Coupés auf Basis des Opel Rekord ab Baujahr 1959 behielten hingegen ihr gewohntes Markengesicht. Die selbsttragende Karosserie der Rüsselsheimer Mittelklassewagen erlaubte aber nur noch leichtere Eingriffe in die Struktur. Dem Trend der Zeit entsprechend verpasste Autenrieth diesen Wagen auffällige Heckflossen.
Gerade die selbsttragende Karosserie stellte den Karosseriebau immer mehr vor Schwierigkeiten. Sonderaufbauten fĂĽr diese Autos ohne richtigen Rahmen waren aufwendig und zu teuer.
Als Opel 1961 auf der Basis des Opel Rekord P 2 ein eigenes Coupé anbot, war dies ein schwerer wirtschaftlicher Schlag für Autenrieth. Zwar bauten die Darmstädter noch Cabrios auf Basis des Rekord P II – nach Schätzungen nur etwa 20 Stück. Das war zu wenig, um weiter zu existieren.
Eine Opel Rekord A Cabriolet-Limousine war 1963 dann der letzte Versuch von Autenrieth, mit Sonderkarosserien auf dem sich schnell wandelnden Markt zu ĂĽberleben.
Vergeblich, die traditionsreiche Firma schloss 1964 fĂĽr immer ihre Tore.

Siehe dazu:
“Erste Darmstädter Karosseriewerke – Autenrieth“, Henning Zaiss, Verlag Günter Preuß, 1991; „Röhr – Ein Kapitel deutscher Automobilgeschichte“, Werner Schollenberger, Verlag Günter Preuß, 1996; Schollenberger, W., Hupe – das regionale Automagazin, „Fast vergessen – Autos aus Südhessen“, Serie Februar bis November 2011 (Echo Zeitungen GmbH Darmstadt); „Röhr – Die Sicherheit selbst“, Werner Schollenberger, August Horch Museum, Zwickau 2012.



Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Ein Selve aus Hameln mit einer Karosserie von Autenrieth vor der Werkstatt in Darmstadt - ca. 1924

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Röhr 8 Typ F 1932. Die Autenrieth Stromlinien-Limousine - Ausstellungsfahrzeug der Neuen Röhr Werke AG auf den Ausstellungen in Paris, Genf und Berlin

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Röhr Junior Cabriolet, Karosserie Autenrieth

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
Der BMW 326 mit Schiebetueren war eine Besonderheit die von Autenrieth angeboten wurde.

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
BMW 335, Karosserie Autenrieth

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
BMW 502 Coupe, Karosserie Autenrieth

Werner Schollenberger - Beiträge zur Automobilgeschichte
BMW 3200 S Cabrio, Karosserie Autenrieth